Ich weiß gar nicht so richtig, wie ich meinen Unfall am besten beschreiben soll. Immerhin ist das die eine Sekunde, die mein Leben auf welche Art letztendlich auch immer verändert hat. Ich denke jeder von uns ist schon oft mit dem Begriff „Schicksal“ in Berührung gekommen. Ich habe mich auch schon ab und zu gefragt ob es so etwas wie Schicksal gibt. Zum jetzigen Zeitpunkt muss ich sagen, dass ich diese Frage mit einem klaren „ja“ beantworten würde.
Ich wollte an dem letzten Septemberwochenende eigentlich mein erstes Downhillrennen fahren. Schon die ganze Saison habe ich immer wieder davon geredet Rennen zu fahren und für die nächste Saison hatte ich es mir auch fix vorgenommen. Der Gedanke an die Aufregung während eines Rennens, die ganzen Leute und natürlich auch an die Angst zu versagen wollte mich einfach nicht mehr loslassen. Trotzdem hatte ich ein extrem schlechtes Gefühl. Ich kannte die Strecke nicht, es sollte regnen bzw. schneien und am Wochenende vorher hatte ich mir auch noch die Kapsel im rechten Mittelfinger beleidigt. Also entschied ich mich schweren Herzens gegen das Rennen. Ich dachte mir, dass ich es eben einfach nicht erzwingen kann und wollte mich auf keinen Fall verletzten. Diese eigentlich sehr weise Entscheidung rettete mich trotzdem nicht vor einer der schlimmsten Verletzungen, die ich mir hätte ausmalen können. Daher glaube ich jetzt wohl an Schicksal. Dieser Unfall hat wohl einfach mir passieren sollen, aus welchem Grund auch immer.
Vorfreude.
Am Morgen des 30.09.2018 stand ich wie immer extrem müde, aber glücklich auf. Es war bereits mein 36. Bikepark-Tag in dieser Saison, das machte sich auch körperlich mittlerweile schon etwas bemerkbar. Es sollte ein sonniger Tag werden, wenn auch etwas kalt. Ich nahm voller Vorfreude meine blaue Ikeatasche mit meinen Bikesachen und schob mein Bike nach draußen. Thorsten holte mich von zu Hause ab, wir luden die Bikes auf den Gepäckträger und hatten eine lustige Fahrt nach Spicak. Alles war so wie es ein sollte. Alles war so wie jedes Wochenende.
Ich war zuvor noch nie in Spicak. Schon während der Liftfahrt schaute ich ungeduldig auf die Strecken und suchte Sprünge die für mich in Frage kommen würden. Ich liebe Sprünge. Das Gefühl in der Luft zu sein in Kombination mit dem Adrenalin ist für mich einfach unbeschreiblich.
Ich hatte mich in dieser Saison so oft überwunden einen neuen Sprung zu springen und das Gefühl war jedes mal einfach der Wahnsinn. Ich war praktisch süchtig danach. Dieses Gefühl wollte ich unbedingt wiederhaben. Ganz unten im Bikepark gibt es eine Jumpline, die aus Double besteht. Vor dem ersten Double der Jumpline war ein kleiner Step Down, ein Sprung bei dem man wie der Name schon sagt nach unten springt. Solche Sprünge sind eigentlich immer als Speedcheck gedacht. Ich beschloss daher zuerst nur den Speedcheck zu springen. Da dieser gut ging schaute ich mir den Double danach an. Ich war schon zuvor Double gesprungen und ich machte mir eigentlich keine Gedanken, dass dieser Sprung schief gehen könnte.
Ich denke viele Menschen kennen diese eine Schrecksekunde. Kurz vor einem Unfall gibt es eine Sekunde, die sich sehr in die Länge zieht und man merkt, dass gleich etwas passiert. Genauso erging es mir. Ich sprang und merkte, dass ich viel zu schnell und viel zu hoch sei. Die Zeit schien für einen Moment still zu stehen und ich wusste, dass mir gleich etwas sehr schlimmes passieren würde. Danach habe ich keine Erinnerungen mehr. Thorsten erzählte mir später ich sei wohl viel zu weit und dazu noch sehr kopflastig gesprungen. Anscheinend habe ich den kompletten Landehügel übersprungen und bin mit dem Vorderrad aufgekommen und über den Lenker auf den Rücken geflogen.
Dann wurde es schwarz.
Ich war ohnmächtig. Zwar zum Glück nur eine kurze Zeit, aber als ich wieder zu mir kam standen eine Menge Leute von der Bergrettung um mich herum. Sofort kam jemand und legte mir eine Halskrause an. Ich bekam Panik als ich das sah und merkte sofort, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen kann. Ich schrie. Ich schrie den ganzen Wald inklusive Thorsten zusammen. Ich schrie, dass ich so ein Leben nicht haben wolle und wann ich meine Beine wieder bewegen könne. Das Gefühl war unbeschreiblich. Ich glaub wenn es einen Moment der puren Verzweiflung gibt dann war es so einer. Danach dauerte alles ewig, auch wenn ich es nicht mehr so ganz genau weiß. Ich wurde auf eine Liege gelegt und in den Rettungswagen gebracht. Ich war immer noch außer mir und stand unter Schock. Ich fragte jeden Menschen den ich zu sehen bekam auf deutsch und auf englisch wann ich meine Beine wieder bewegen könne, aber es antwortete mir niemand. Ich war ganz allein. Man sagte mir nur dass ein Helikopter aus Straubing kommen würde. Danach blieb mir nichts anderes übrig als zu warten. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Klinik Rechts der Isar.
In München angekommen rannte das Team des Helis mit meiner Liege ins Krankenhaus. Ich war noch immer außer mir und man konnte mich kaum beruhigen. Plötzlich sah ich meine Mama hinter meiner Liege her rennen. Ich glaube ich war nie so froh sie zu sehen. Etwas später bemerkte ich, dass auch mein Bruder dabei war. Ich muss fast weinen während ich das aufschreibe. Dieser Moment der Verzweiflung und gleichzeitig der unbeschreiblichen Freude meine Familie zusehen sitzt anscheinend tief. Ich fühlte mich nun sicherer. Nachdem ein CT gemacht wurde stand fest, dass mein 8. Brustwirbel gebrochen ist und dass ich operiert werden müsse um meine Wirbelsäule zu stabilisieren. Eine Operation. Für viele Menschen ein bedrohlicher Gedanke. Ich hingegen sehnte eine Operation herbei. Ich hoffte so sehr danach aufzuwachen und meine Beine wieder zu spüren und bewegen zu können. Ich fragte nur noch wie lange die Operation dauern würde. Die Antwort war ca. zwei Stunden.
Ich wachte irgendwann in einem hellen Zimmer auf. Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, aber ich weiß noch das mein Papa da war. Ich war verwirrt, es war hell. Nachdem die Operation ja nur zwei Stunden dauern sollte, müsste es ja eigentlich Nacht sein. Ich fragte Papa wie spät es sei und er antwortete etwas wie 10 Uhr morgens. Später erfuhr ich, dass meine Operation acht und nicht zwei Stunden gedauert hatte.
So, das war der Tag an dem ich mein Leben weggeschmissen hab. Mit 26. Viel zu früh, wobei man natürlich sagen kann für so ein Schicksal ist es immer zu früh. Eine falsche Entscheidung kann solch weitreichende Konsequenzen haben. Jetzt viele Wochen später kann ich es noch immer nicht glauben. Ich glaube ganz fest daran, dass ich wieder gehen und Radl fahren kann und dass alles wieder in Ordnung kommt. Das ist die eine Seite, die mich irgendwie auch stark macht. Meine fröhliche Art, meine Lebensfreude und mein Optimismus. Die andere Seite ist eine Mischung aus Angst und Trauer. Trauer um mein altes Leben und Angst vor der Zukunft. Ich mache mir große Vorwürfe, dass ich mich für diesen Sprung entschieden habe. Klar kann man sagen falsche Entscheidungen gehören zum Leben dazu, was aber die Tatsache nicht ändert dass ich mir Vorwürfe mache. Ich habe nicht nur mein Leben verändert, sondern auch das meines Umfeldes, besonders das meiner Familie und das tut mir unendlich leid.
Ich habe vor allem meinen Eltern und meinem Freund, aber auch meinen Freunden eine unglaubliche Last aufgebürdet und ich möchte mich bei ihnen allen entschuldigen. Entschuldigen dafür, was sie bereits jetzt alles für mich getan haben und auch was sie in Zukunft für mich tun werden.
Wichtig!!!
Mein Unfall ist gefilmt worden. Ich habe mir das Video bereits angesehen, möchte es jedoch nicht veröffentlichen. Das ist für mich einfach zu persönlich. Trotzdem liegt hier in Murnau ein zweiter Downhillfahrer, der bei dem selben Sprung ebenfalls zu weit gesprungen ist. Ich denke zwei Querschnitte sind mehr als genug, daher poste ich zumindest ein Bild kurz vor meinem Crash. Ich kann nur jeden einzelnen von euch warnen und bitten dies weiter zu erzählen. Man muss vor dem Double nach dem Speedcheck anscheinend ordentlich abbremsen. Ich persönlich würde die Line zum ersten Mal nur hinter wem nachfahren, der sie bereits gesprungen ist!!!